Kampf der Kulturen in Bad Godesberg

Selten hatte in den vergangenen Jahren eine Premiere des Bonner Theaters eine solche Vorberichterstattung wie „Zwei Welten“ von Ingrid Müller-Münch. Nicht nur lokale Zeitungen und der wdr, sondern auch F.A.Z, Frankfurter Rundschau (FR) und Bild beschäftigten sich mit dem „Doku-Stück“ und wussten schon vor der  Premiere am 30.11.2009, dass es auf der Bühne der Godesberger Kammerspiele in Frank Heuels Inszenierung um den „Kampf der Kulturen im Diplomatenviertel Bad Godesberg“ (deutsche welle) geht.

Ein Produkt dieser Vorberichterstattung ist das „Bad-Godesberg-Phänomen“. Unter dieser Überschrift erschienen in der FR auf zwei Seiten am 26.10.2009 Auszüge aus den Protokollen, die die Autorin  Ingrid Müller-Münch in den vergangenen Jahren aufgezeichnet hat. Ein „Mitglied der Karnevalsgesellschaft Prinzengarde“ kommt in der FR zu Wort, ein „jugendlicher Migrant“, ein „Gymnasiast“, ein „19-jähriger Syrer“ und noch ein paar Godesberger mehr. Das parallel zur Premiere erscheinende Buch enthält Protokolle von 60 interviewten Personen. „Ingrid Müller-Münch“, so die FR,  „hat sich bei Bad Godesbergern umgehört – und Berichte aus zwei Welten erhalten“, aus der Welt der Reichen, des gut situierten Bildungsbürgertums im feinen „Villenviertel“ und aus der Welt der „Migranten“, die an Döner-Buden und gehäuft vorkommenden Telefonläden zu erkennen ist.

Beide „Welten“ gibt es auch in Köln, Duisburg und Berlin. Warum beschäftigt die Autorin sich aber gerade mit Bad Godesberg und sieht gar in der Godesberger Situation ein besonderes Phänomen? Das Besondere in Godesberg: beide Welten liegen dort eng beieinander. „Diese beiden Welten, die sich mir bei meinen Recherchen offenbarten“, so die Autorin, „sind vielen Sozialarbeitern, Polizisten und Politikern bundesweit als Problematik längst vertraut. Die Besonderheit von Bad Godesberg besteht allerdings darin, dass diese Entwicklung nicht langsam vonstatten ging, sondern vor zehn Jahren erst, mit dem Wegzug der Bundesregierung nach Berlin, begann. Dennoch ist „Zwei Welten“ als Collage über das Leben junger Menschen in einer Parallelgesellschaft paradigmatisch für die gesellschaftliche Entwicklung in vielen deutschen Städten.“ (Ingrid Müller-Münch: "Zwei Welten – Protokolle aus einer Stadt im Wandel")

Stadt Bonn: „Nicht repräsentativ“

Der Geburt des „Bad-Godesberg-Phänomen“ konnte oder wollte die Stadt Bonn nicht untätig zusehen, droht doch nach dem WCCB-Desaster  ganz offensichtlich der nächste (Image-)Schaden. Bisher gehörte zu dem Bild, das sich die „internationale Stadt“ und „Deutschlands einzige UN-Stadt“ verpasst hat, dass  Bonn ein Beispiel für erfolgreiche Integration von Einwanderern ist. „Die Vorberichterstattung zum Theaterstück „Zwei Welten", das am Freitag Premiere hat“, hieß es am 29.11.2009 von Seiten der Stadt, „suggeriert, das Stück stelle die Realität für ganz Bad Godesberg dar. Dazu stellt die Stadt Bonn klar, dass die Situation der am Theaterstück beteiligten Kinder und Jugendlichen nicht repräsentativ ist.“ In der Presseerklärung der Stadt wird zudem Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch zitiert: „Ich habe die Patenschaft für das Projekt übernommen, da das Stück vor allem einen pädagogischen Auftrag hat." Entschuldigt sich da jemand dafür, dass er für ein solch „nicht repräsentatives“ Stück die Patenschaft übernommen hat?

Die Inszenierung

Am 30.10.2009 konnten sich die Premierengäste ein Bild von „Zwei Welten“ machen. Neun Schauspieler schlüpfen in die Rollen von  interviewten Personen und tragen deren Aussagen vor. Sie werden dabei – musikalisch – von zwei jugendlichen Beatboxern unterstützt, eine bunte Gruppe von Kindern hüpft und malt immer wieder im Hintergrund auf der Bühne, manchmal sitzen die süßen Kleinen auch brav im Halbkreis, haben einen Luftballon in der Hand und hören dem vortragenden Schauspieler zu. Frank Heuels Inszenierung des mehr als zweistündigen Stückes ist spröde und arg kopflastig. Fangen Schauspieler einmal an, eine Rolle wirklich zu spielen, so wie Rolf Mautz einen „deutschen“ Hausbesitzer an der Bonner Straße in Bad Godesberg, so ist das die Ausnahme. Vielfach werden die Texte durch die Schauspieler verfremdet vorgetragen, Frauen tragen Aussagen von Männern vor, und umgekehrt, „Deutsche“ sind „Ausländer“, „Ausländer“ „Deutsche“.

Keine Lösung in Sicht?

Was das Stück dokumentiert, sind – und das weiß jeder, der in Godesberg lebt und arbeitet - zwei Welten, die es in in diesem Stadtteil gibt. Auch die ausgewählten „Sprecher“ dieser beiden Welten sind repräsentativ, „authentisch“. Es ist das Verdienst der Autorin, darauf hinzuweisen und die Finger in die Wunden zu legen, die sich aus den Konflikten zwischen den Menschen aus diesen beiden Welten ergeben. Das Problem des Stückes ist nicht die mangelnde Repräsentativität. Das Problem des Stückes ist, dass es so gar keinen Ansatz für mögliche Lösungen zeigt.

Die Autorin gibt zahlreichen jugendlichen Godesbergern das Wort – sie stammen durchweg aus den beiden gegensätzlichen schulischen Milieus: Gymnasiasten gegen Hauptschüler. Diese beiden Milieus  erfassen in Godesberg viele junge Leute, aber längst nicht mehr alle. Jugendliche aus Godesberg größter Schule, der Gesamtschule, tauchen in dem Stück von Ingrid Müller-Münch nicht auf. Warum blendet die Autorin diese Jugendlichen aus? Passen Sie nicht in das Bild, das sie von Godesberg zeichnen möchte? Wer den Alltag dieser Schule kennt, weiß, dass das Bild „Deutsche gegen Ausländer – Ausländer gegen Deutsche“ dort keine Rolle spielt. Schon früh hat sie sich den Titel „Schule gegen Rassismus“ erworben und jedes Kind ist dort willkommen, im Gegensatz zu den mehr oder weniger „rein-deutschen“ Godesberger „Elite-Gymnasien“ und der mittlerweile mehr oder weniger „rein-ausländischen“ Hauptschule.

Hans Weingartz (31.10.2009)


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